Der Fall des Hauses Usher

36 min

Der Fall des Hauses Usher
A haunting view of the decaying House of Usher, standing ominously by a dark tarn, reflecting the gloomy, eerie atmosphere surrounding the mansion. The ancient structure, cracked and overgrown with vines, hints at the mysterious horrors within.

Über die Geschichte: Der Fall des Hauses Usher ist ein Realistische Fiktion aus united-states, der im 19. Jahrhundert spielt. Diese Beschreibend Erzählung erforscht Themen wie Verlust und ist geeignet für Erwachsene. Sie bietet Unterhaltsam Einblicke. Eine fesselnde Geschichte über Familie, Wahnsinn und das Übernatürliche.

Während eines trostlosen, düsteren und klanglosen Herbsttages fand ich mich allein auf einem einsam verlassenen Landstrich reitend wieder; und schließlich, als die Schatten des Abends sich ausbreiteten, erblickte ich das melancholische Haus Usher. Ich weiß nicht wie – aber mit dem allerersten Anblick des Gebäudes durchdrang ein unermessliches Gefühl der Schwermut meinen Geist. Ich sage unermesslich: denn das Gefühl wurde nicht gelindert durch irgendeinen jener halb vergnüglichen, weil poetischen Empfindungen, mit denen der Geist gewöhnlich selbst die strengsten Naturbilder von Ödnis oder Grauen aufnimmt. Ich betrachtet die Szene vor mir – das bloße Haus, die schlichten Landschaftszüge des Anwesens – die kargen Mauern – die leeren, augenähnlichen Fenster – einige üppig wuchernde Schilfrohrbüsche und ein paar weiße Stämme verfaulter Bäume – mit einer völligen Seelenerschütterung, die ich mit keinem irdischen Gefühl treffender vergleichen kann, als mit dem Nachtraum eines Deliquenten unter Opium: der bittere Übergang in den Alltag – das abscheuliche Lösen des Schleiers. Es war eine Kälte, ein Sinken, ein Übelwerden des Herzens – eine unerlöste Trostlosigkeit des Denkens, die sich durch kein Anstacheln der Phantasie in etwas Erhabenes verwandeln ließ. Was war es – ich hielt inne, um nachzudenken – was war es, das mich beim Betrachten des Hauses Usher so entzweite? Es war ein völlig unauflösbares Rätsel; und ich konnte mich den schattenhaften Einbildungen, die sich mir beim Grübeln aufdrängten, nicht erwehren. Ich war genötigt, auf die unbefriedigende Schlussfolgerung zurückzugreifen, dass es zwar ohne Zweifel Kombinationen von sehr einfachen Naturgegenständen gibt, die in der Lage sind, uns derartig zu berühren – doch dass die Analyse dieser Wirkung zu Überlegungen gehört, die jeglicher Reichweite unserer Vorstellungskraft entbehren. Es war möglich, dachte ich, dass bereits eine andere Anordnung der Elemente der Szenerie, der Details des Bildes, ausreichen würde, um ihre Fähigkeit zur melancholischen Eindruckserregung zu verändern oder gar vollständig auszulöschen; und, getrieben von diesem Gedanken, zügelte ich mein Pferd bis hinauf an den steilen Abgrund eines schwarzen und krankhaft schillernden Teiches, der in ungestörter Glätte an dem Anwesen lag, und blickte hinab – doch mit einem noch durch Mark erschütternden Schaudern – auf die umgestalteten und verkehrten Bilder des grauen Schilfrohrs, der gespenstischen Baumstümpfe und der leeren, augenähnlichen Fenster.

Der Erzähler steht vor dem imposanten, verfallenen Eingang des Hauses Usher und blickt zögernd auf die gotische Tür.
Der Erzähler nähert sich dem unheilvollen Eingang des Hauses Usher und zögert, während er sich darauf vorbereitet, die dunklen Geheimnisse im Inneren zu konfrontieren.

Dennoch hatte ich mir in diesem düsteren Gemäuer einen mehrwöchigen Aufenthalt vorgenommen. Sein Besitzer, Roderick Usher, war in meiner Kindheit einer meiner innigsten Gefährten gewesen; jedoch waren seit unserem letzten Treffen viele Jahre vergangen. Vor Kurzem erreichte mich in einem abgelegenen Teil des Landes ein Brief – ein Brief von ihm –, dessen wild drängende Natur mir keinerlei andere Antwort als eine persönliche Erledigung der Angelegenheit gestattete. Das Manuskript zeugte von nervöser Erregung. Der Verfasser sprach von einer akuten körperlichen Krankheit – von einer seelischen Störung, die ihn niederdrückte – und von einem innigen Wunsch, mich zu sehen, als seinen besten und in der Tat einzigen persönlichen Freund, in der Hoffnung, durch die Fröhlichkeit meiner Gesellschaft eine gewisse Linderung seines Leidens zu bewirken. Es war die Art und Weise, wie all dies – und noch vieles mehr – vorgetragen wurde; es war das offenkundige Herz, das seiner Bitte zugrunde lag, welches mir keinerlei Zögern erlaubte; und so befolgte ich ohne Zögern jene wahrhaft ungewöhnliche Vorladung, die ich als solche empfunden hatte.

Obgleich wir in unserer Kindheit gar innige Gefährten gewesen seien, kannte ich meinen Freund wirklich nur wenig. Seine Zurückhaltung war von Natur aus übertrieben und gewohnheitsmäßig. Ich wusste jedoch, dass seine überaus alte Familie seit jeher für eine eigentümliche Empfindsamkeit des Gemüts bekannt war, die sich – über viele Zeitalter hinweg – in zahlreichen erhabenen Kunstwerken zeigte und jüngst in wiederholten Taten großherziger, wenn auch unaufdringlicher Wohltätigkeit sowie in einer leidenschaftlichen Hingabe an die Feinheiten, vielleicht sogar mehr als an die orthodoxen und leicht erkennbaren Schönheiten, der Musikwissenschaft manifest wurde. Ich erfuhr auch die bemerkenswerte Tatsache, dass der Stamm des Hauses Usher, so ehrwürdig er auch war, zu keiner Zeit einen beständigen Ableger hervorgebracht hatte; mit anderen Worten, dass die gesamte Familie in direkter Abstammungslinie stand und stets – mit nur sehr geringen und flüchtigen Abweichungen – so geblieben war. Diese Entbehrung, dachte ich, während ich gedanklich das vollkommene Beharren des Charakters der Gemäuer mit dem anerkannten Charakter der Leute verglich und über den möglichen Einfluss sinnierte, den das eine im Laufe von Jahrhunderten auf das andere ausgeübt haben könnte – es war vielleicht eben dieser Mangel an Seitenlinien und die daraus resultierende unveränderte Übertragung des Erbes mitsamt dem Namen von Vater zu Sohn –, die letztlich so eng die beiden miteinander verschmolz, dass dem ursprünglichen Besitzstitel das eigentümliche und mehrdeutige Attribut „Haus Usher“ eigen wurde – ein Name, der in den Köpfen der Bauern, die ihn verwendeten, sowohl die Familie als auch die Familienvilla zu umfassen schien.

Ich habe gesagt, dass die einzige Wirkung meines etwas kindlichen Experiments – nämlich des Hinabschauens in den Teich – die erste eigenartige Empfindung nur noch vertiefte. Es besteht kein Zweifel, dass das Bewusstsein über die rapide Zunahme meines Aberglaubens – denn warum sollte ich es nicht so nennen? – hauptsächlich dazu beitrug, dass eben diese Zunahme noch schneller voranschritt. So ist es, wie ich schon lange weiß, das paradoxe Gesetz aller Gefühle, die ihre Grundlage im Grauen haben. Und es mochte allein daher sein, dass, als ich erneut den Blick von der Spiegelung des Teiches auf das Haus selbst hob, sich in meinem Geist eine seltsame Idee regte – eine Idee, so lächerlich, dass ich sie nur erwähne, um die heftige Kraft der Empfindungen zu verdeutlichen, die mich erdrückten. Ich hatte meine Fantasie derart beeinflusst, dass ich tatsächlich glaubte, um das ganze Anwesen und dessen Umgebung schwebte eine eigene, eigentümliche Atmosphäre – eine Atmosphäre, die in keiner Weise mit der Himmelsluft verwandt war, sondern die von den verfaulenden Bäumen, der grauen Mauer und dem stillen Teich emporstieg – ein pestilenter und mystischer Dunst, dumpf, träge, schwach wahrnehmbar und bleigrau.

Den Eindruck eines Traumes abschüttelnd, untersuchte ich die tatsächliche Erscheinung des Gebäudes etwas genauer. Sein prägendstes Merkmal schien seine übermäßige Altertümlichkeit zu sein. Die Verfärbung der Zeiten war beträchtlich. Winzige Pilze überzogen die gesamte Außenfassade und hingen in einem feinen, wirren Netz von den Traufen herab. Dennoch war all dies ganz losgelöst von jeglicher außergewöhnlicher Verfallssituation. Kein Teil der Mauerwerksstruktur war einsturzgefährdet; und es schien eine eigenartige Inkongruenz zu herrschen zwischen der noch vollkommen funktionierenden Zusammensetzung der Teile und dem Zerfall der einzelnen Steine. Darin lag vieles, das mich an die scheinbare Ganzheit längst verrotteten Holzgewebes erinnerte, das jahrelang in einem verlassenen Gewölbe verfaulte, ohne dass die frische Luft Einlass fand. Abgesehen von diesem Hinweis auf weitreichenden Zerfall, verriet das Bauwerk kaum Anzeichen von Instabilität. Vielleicht hätte das Auge eines scharfsinnigen Beobachters einen kaum wahrnehmbaren Riss entdecken können, der sich vom Dach des Vordergebäudes aus in zickzackförmiger Richtung die Wand hinab zog, bis er in den düsteren Wassern des Teiches verschwand.

Roderick Usher sitzt in einem verfallenden Arbeitszimmer, sein bleiches Gesicht und das wilde Haar zeugen von Wahnsinn. Schwaches Licht erfüllt den Raum.
Roderick Usher, ein von Wahnsinn überwältigter Mann, sitzt in dem verfallenen Arbeitszimmer seines Ahnenhauses, umgeben von Staub und Schatten.

Nachdem ich diese Dinge bemerkt hatte, ritt ich über eine kurze Feldbrücke hin zum Haus. Ein bedienender Diener nahm mein Pferd entgegen, und ich trat durch den gotischen Pfeilerbogen der Halle ein. Ein Kammerdiener, lautlos auf leisen Schritten, führte mich stumm durch zahlreiche dunkle und verschlungene Gänge, bis wir das Arbeitszimmer seines Herrn erreichten. Vieles, was mir auf dem Weg begegnete, trug – ohne dass ich genau sagen konnte wie – zur Verstärkung jener vagen Empfindungen bei, über die ich bereits berichtet hatte. Während die Gegenstände um mich herum – die Schnitzereien an den Decken, die düsteren Wandteppiche, das pechschwarze Parkett und die phantasmagorischen heraldischen Trophäen, die im Takt meines Schreitens rasselten – bloß Dinge waren, an die ich seit meiner Kindheit gewöhnt war – während ich nicht zögerte anzuerkennen, wie vertraut mir all dies war – wunderte ich mich dennoch darüber, wie fremd die Vorstellungen waren, die aus gewöhnlichen Bildern in mir emporstiegen. An einer der Treppen begegnete ich dem Hausarzt der Familie. Sein Antlitz, dachte ich, trug einen gemischten Ausdruck aus schlichem Arglist und Verwirrung. Er sprach mich mit Besorgnis an und ging dann weiter. Der Kammerdiener öffnete unvermittelt eine Tür und geleitete mich in die Gegenwart seines Herrn.

Der Raum, in den ich trat, war sehr groß und hoch. Die Fenster waren lang, schmal und spitz und befanden sich in solch enormer Entfernung vom dunklen Eichengrund, dass sie von innen gar nicht erreichbar schienen. Schwache Schimmer rötlichen Lichts fanden ihren Weg durch die schachbrettartig angeordneten Glasscheiben und vermittelten hinreichend deutliche Konturen der vorherrschenden Gegenstände; jedoch rang mein Auge vergeblich darum, auch die entlegeneren Winkel des Zimmers oder die Nischen der gewölbten und kunstvoll verzierten Decke zu erfassen. Dunkle Vorhänge hingen an den Wänden. Die Gesamteinrichtung war üppig, ungemütlich, altmodisch und zerlumpt. Zahlreiche Bücher und Musikinstrumente lagen verstreut herum, verliehen der Szenerie aber keinerlei Lebendigkeit. Ich hatte das Gefühl, eine Atmosphäre der Traurigkeit einzuatmen. Eine Aura strenger, tiefer und unwiederbringlicher Schwermut lag über allem und durchdrang jeden Winkel.

Bei meiner Ankunft erhob sich Usher von einem Sofa, auf dem er sich ganz ausgestreckt hingelegt hatte, und begrüßte mich mit einer lebhaften Wärme, die mir zunächst wie übertriebene Herzlichkeit vorkam – wie der gezwungene Eindruck eines gelangweilten Menschen der Welt. Ein flüchtiger Blick auf sein Antlitz überzeugte mich jedoch seiner vollkommene Aufrichtigkeit. Wir setzten uns; und einige Augenblicke lang, während er nicht sprach, betrachtete ich ihn mit einem Gefühl, halb Mitleid, halb Ehrfurcht. Gewiss hatte sich kein Mensch je so furchtbar verwandelt, in so kurzer Zeit, wie Roderick Usher es getan hatte! Mit Mühe konnte ich akzeptieren, dass das fahle Wesen vor mir tatsächlich derselbe Gefährte meiner frühen Kindheit war. Doch das markante Antlitz war zu jeder Zeit bemerkenswert gewesen: eine krankhafte Blässe der Haut, ein Auge – groß, flüssig und strahlend wie kaum eines zu vergleichen –, leicht zurückgezogene, fast bleiche Lippen, doch mit einer überaus anmutigen Bogenform; eine Nase von zart hebräischem Vorbild, jedoch mit ungewöhnlicher Netzbreite der Nasenlöcher; ein fein modelliertes Kinn, das in seiner Zurückhaltung von moralischer Energie zeugte; Haar, von feiner als ein Spinnennetzartiger Weichheit und Zartheit – all diese Eigenschaften, zusammen mit einer übermäßigen Ausdehnung im Bereich der Schläfen, ergaben ein Antlitz, das kaum zu vergessen war. Und nun, in der bloßen Übersteigerung der vorherrschenden Merkmale und des Ausdrucks, den sie vermittelten, lag so viel Veränderung, dass ich daran zweifelte, mit wem ich es zu tun hatte. Die jetzt gespenstische Blässe der Haut und der nun fast wundersame Glanz des Auges – vor allem ließ mich dies erschauern und sogar ehrfürchtig werden. Selbst das seidenartige Haar war ungehindert gewachsen, und da es in seiner wilden, schimmernden Beschaffenheit eher schwebte als das Gesicht zu umrahmen, konnte ich trotz aller Anstrengung dessen arabesk anmutenden Ausdruck nicht mit einer gewöhnlich menschlichen Vorstellung verbinden.

In Usher ähnlicher Art wurde ich augenblicklich von einer Unstimmigkeit erfasst – einer Inkohärenz; und ich stellte bald fest, dass diese aus einer Reihe schwacher und vergeblicher Versuche herrührte, eine gewohnheitsmäßige Beklommenheit – eine übertriebene nervöse Erregung – zu überwinden. Auf etwas in dieser Richtung war ich dank seines Briefes ebenso vorbereitet wie durch Erinnerungen an gewisse kindliche Eigenarten und durch Schlüsse, die sich aus seiner eigenartigen physischen Verfassung und seinem Gemüt ergaben. Sein Auftreten schwankte zwischen lebhafter Freudlosigkeit und finsterer Trägheit. Seine Stimme wechselte rasch von einem zitternden Zögern (als ob die tierischen Impulse völlig außer Betrieb wären) zu jener Art energischer Prägnanz – jener abrupten, gewichtigen, unbeeilten und hohl klangenden Artikulation, jener bleiernen, selbst ausbalancierten und vollkommen modulierbaren gutturalen Äußerung, die man bei betrunkenen Verlorenen oder unheilbar dem Opium verfallenen Menschen während ihrer Momente höchster Erregung beobachten kann.

So sprach er von dem Grund meines Besuchs, von seinem innigen Wunsch, mich zu sehen, und von dem Trost, den er von mir erwartete. Er kam nach und nach darauf zu sprechen, was er als die Natur seines Übels empfand. Es sei, sagte er, ein konstitutionelles und familiäres Übel, für dessen Heilung er kaum Hoffnung mehr hegten – ein bloß nervöses Leiden, fügte er sogleich hinzu, das zweifellos bald vergehen würde. Es zeigte sich in einer Vielzahl unnatürlicher Empfindungen. Einige davon, wie er sie detailliert beschrieb, interessierten und verwirrten mich; wenngleich vielleicht sowohl die Wortwahl als auch die allgemeine Art des Vortrags ihr Gewicht hatten. Er litt stark unter einer krankhaften Überempfindlichkeit der Sinne; selbst das unscheinbarste Essen war ihm erträglich; er konnte nur Kleidung bestimmter Textur tragen; der Duft sämtlicher Blumen drückte ihn nieder; selbst das schwache Licht quälte seine Augen; und es gab nur seltsame Klänge – und diese stammten von Saiteninstrumenten –, die ihn nicht in Entsetzen versetzten.

Einer anomalen Art von Schrecken war er, wie ich fand, ein unterworfener Knecht. „Ich werde zugrunde gehen“, sagte er, „ich muss in dieser verabscheuungswürdigen Torheit zugrunde gehen. So, so – und anders nicht – wird mein Untergang besiegelt sein. Ich fürchte die Geschehnisse der Zukunft, nicht an sich, sondern wegen ihrer Folgen. Schon der Gedanke an ein noch so unbedeutendes Ereignis, das diese unerträgliche Unruhe der Seele verstärken könnte, versetzt mich in Zittern. Gefahr an sich ekelt mich nicht ab, sondern erst in ihrer absoluten Wirkung – im Schrecken. In diesem Entkleiden – in diesem erbärmlichen Zustand fühle ich, dass es unweigerlich der Moment kommen wird, in dem ich Leben und Vernunft zusammen aufgeben muss, im Kampfe gegen das finstere Gespenst, die FURCHT.“

In regelmäßigen Abständen erfuhr ich zudem durch bruchstückhafte und doppeldeutige Andeutungen ein weiteres eigenartiges Merkmal seines seelischen Zustands. Er war gefangen in bestimmten abergläubischen Vorstellungen in Bezug auf das Anwesen, das er bewohnte und von dem er sich seit vielen Jahren nie zu trennen wagte – in Bezug auf einen Einfluss, dessen vermeintliche Kraft in hier zu vage zu fassenden Begriffen vermittelt wird –, einen Einfluss, den, wie er sagte, gerade die Besonderheiten der Gestalt und Substanz seines Familiendomizils im Laufe langer Leidenszeit auf seinen Geist ausgeübt hatten – ein Effekt, den die physische Präsenz der grauen Mauern und Türme sowie des düsteren Teiches, in den sie alle hinabblickten, schließlich auf die Moral seiner Existenz gehabt hatte.

Er gestand jedoch – zwar mit Zögern –, dass ein großer Teil der eigentümlichen Schwermut, die ihn so plagte, auf einen natürlicheren und weit greifbareren Ursprung zurückgeführt werden konnte – auf die schwere und langanhaltende Krankheit – ja, auf die augenscheinlich herannahende Auflösung – einer zärtlich geliebten Schwester, seiner langjährigen einzigen Weggefährtin, seiner letzten und einzigen Verwandten auf Erden. „Ihr Ableben“, sagte er mit einer Bitterkeit, die mir unauslöschlich im Gedächtnis bleiben wird, „würde ihn (den hoffnungslosen und gebrechlichen) zum Letzten der uralten Ushers machen.“ Während er sprach, schritt die Dame Madeline (so war ihr Name) langsam durch einen abgelegenen Teil der Wohnung hindurch und verschwand, ohne meine Anwesenheit zu bemerken. Ich betrachtete sie mit einem unfassbaren Erstaunen, das nicht minder von Furcht durchzogen war – und dennoch vermochte ich diese Gefühle nicht zu deuten. Ein Gefühl benebelter Stumpfheit überkam mich, als meine Augen ihren abklingenden Schritten folgten. Als sich schließlich eine Tür hinter ihr schloss, suchte mein Blick instinktiv und eifrig das Antlitz ihres Bruders – doch er hatte sein Gesicht in seinen Händen vergraben, und ich nahm nur wahr, dass eine weit ungewöhnlichere Blässe seine ausgemergelten Finger überzogen hatte, aus denen leidenschaftliche Tränen strömten.

Die Krankheit der Dame Madeline hatte lange die Fähigkeiten ihrer Ärzte übertroffen. Eine anhaltende Apathie, ein allmähliches Verfallen des Körpers und häufige, wenn auch vorübergehende Anfälle, die teilweise kataleptischen Charakters waren, bildeten die ungewöhnliche Diagnose. Bis dahin hatte sie tapfer dem Druck ihrer Krankheit standgehalten und sich nicht endgültig zur Bettruhe begeben; doch als der Abend meiner Ankunft im Hause hereinbrach, erlag sie (wie mir ihr Bruder in unerklärlicher Erregung zur Nacht gestand) der lähmenden Macht des Zerstörers – und ich erfuhr, dass der Blick, den ich auf sie erhascht hatte, vermutlich der letzte gewesen sein würde, den ich je noch erlangen würde – dass die Dame, solange sie lebte, mir nie wieder zu Gesicht käme.

In den folgenden Tagen wurde ihr Name weder von Usher noch von mir erwähnt; und in dieser Zeit bemühte ich mich mit aller Kraft, die Melancholie meines Freundes zu lindern. Wir malten und lasen zusammen; oder ich lauschte, fast wie im Traum, den wilden Improvisationen seiner sprechenden Gitarre. Und je inniger unsere Freundschaft wurde und je freizügiger er mich in die Tiefen seines Geistes einweihte, desto bitterer empfand ich die Aussichtslosigkeit all jener Versuche, einen Geist aufzuheitern, aus dem die Dunkelheit – als wäre sie eine innewohnende, positive Eigenschaft – unablässig über alle Gegenstände des moralischen und physischen Universums strömte.

Roderick Usher und der Erzähler senken die Sarg von Madeline Usher in ein dunkles, feuchtes Gewölbe unter dem Herrenhaus.
In einem Moment der Angst und Trauer lassen Roderick Usher und der Erzähler den Sarg von Madeline Usher in ein Gewölbe unter dem Haus Usher hinab.

Ich werde ewig die Erinnerung an die vielen feierlichen Stunden bewahren, die ich allein mit dem Herrn des Hauses Usher verbracht habe. Dennoch wäre es mir unmöglich, auch nur annähernd den genauen Charakter der Studien oder Beschäftigungen wiederzugeben, in die er mich hineingezogen und geleitet hatte. Eine erregte und stark aufgewühlte Idealität warf einen schwefelartigen Schimmer über alles. Seine langen improvisierten Klagegesänge werden mir ewig in den Ohren nachhallen. Unter anderem brennt mir schmerzhaft in Erinnerung, wie er die wilde Melodie des letzten Walzers von Von Weber in einer eigentümlichen Verdrehung und Übersteigerung darstellte. Aus den Gemälden, über die seine elaborierte Phantasie brütete und die – von Pinselstrich zu Pinselstrich – in vage Vorstellungen übergingen, vor denen ich umso heftiger erschrak, ohne auch zu wissen, warum; – aus diesen Gemälden (deren Bilder mir jetzt noch so lebhaft vor Augen stehen) vermochte ich vergeblich mehr als einen kleinen Teil zu entnehmen, der in bloße geschriebene Worte gefasst werden könnte. Durch die schiere Einfachheit, durch die Nacktheit seiner Gestaltung, fesselte und bond er die Aufmerksamkeit. Wenn je ein Sterblicher eine Idee gemalt hat, dann war jener Sterbliche Roderick Usher. Zumindest in den damals vorherrschenden Umständen entstand in mir aus den reinen Abstraktionen, die der Hypochonder auf seine Leinwand bannte, eine Intensität unerträglichen Erstaunens, von der ich in den zweifellos leuchtenden, wenn auch zu greifbaren Träumereien Fuselis niemals einen Schatten spürte.

Eine der phantasmagorischen Vorstellungen meines Freundes, die nicht so starr der Geist der Abstraktion besitzt, mag – wenn auch nur schwach – in Worten skizziert werden. Ein kleines Bild zeigte das Innere eines unermesslich langen und rechteckigen Gewölbes oder Tunnels, mit niedrigen Wänden, glatt, weiß und ohne Unterbrechung oder Verzierung. Einige zusätzliche Elemente der Gestaltung vermittelten eindrücklich den Eindruck, dass diese Ausgrabung in einer außerordentlich tiefen Lage unter der Erdoberfläche lag. Es war kein Ausgang an irgendeiner Stelle zu sehen, und keine Fackel oder sonstige künstliche Lichtquelle war erkennbar; dennoch ergoss sich ein Schwall intensiver Strahlen, der das Ganze in einen gespenstischen und unpassenden Glanz tauchte.

Ich habe eben über jene krankhafte Verfassung des Hörnervs gesprochen, die alle Musik für den Betroffenen unerträglich machte – mit Ausnahme gewisser Klangwirkungen von Saiteninstrumenten. Es war vielleicht die beengte Bandbreite, in der er sich an der Gitarre bewegte, die in großem Masse den fantastischen Charakter seiner Darbietungen gebar. Doch die feurige Leichtigkeit seiner Improvisationen ließ sich nicht allein dadurch erklären. Sie mussten in den Noten ebenso wie in den Worten seiner wilden Fantasien (denn er ließ nicht selten gereimte verbale Improvisationen einfließen) das Resultat jenes intensiven mentalen Fokussierens und der Konzentration sein, auf die ich zuvor hingewiesen habe – observable nur in den besonderen Momenten höchster künstlicher Erregung. Die Worte einer dieser Rhapsodien sind mir gut in Erinnerung geblieben. Vielleicht drang die Wirkung umso stärker zu mir durch, da er sie vortrug und ich im unterbewussten, mystischen Strom ihrer Bedeutung das erste Mal ein vollständiges Bewusstsein Usher‘s zu erkennen glaubte, nämlich das wacklige Schwanken seiner erhabenen Vernunft auf ihrem Thron. Die Verse, die den Titel „Der Spukpalast“ trugen, verliefen annähernd, wenn auch nicht ganz genau, so:

I.

Im grünsten unserer Täler,

Von wohlwollenden Engeln bewohnt,

Stand einst ein prächtiger, stattlicher Palast –

Ein strahlender Palast – der sich erhob.

In der Herrschaft des monarchischen Gedankens

Stand er da!

Nie spannte ein Seraph ein Flügelpaar

Über einen so anmutigen Bau.

II.

Gelbe, herrliche, goldene Fahnen

Wogen auf seinem Dach und flossen,

(All das – all dies – war in der alten

Zeit, längst vergangen)

Und jede milde Lüftchen, das verweilte

An jenem süßen Tage,

Entlang der gepanzerten und blassen Zinnen,

Entwich in Schwingungen ein geflügelter Duft.

III.

Umher irrten in jenem seligen Tal

Durch zwei leuchtende Fenster Geister,

Die sich musikalisch bewegten

Nach des Lauten wohl abgestimmtem Gesetz,

Rund um einen Thron, wo sitzend

(Porphyrogene!)

In würdiger Pracht seine Herrlichkeit

Der Herr des Reiches war zu sehen.

IV.

Und alles, im Glanz von Perlen und Rubinen,

Schimmerte des schönen Palasttür,

Durch die strömten, strömten, strömten

Und immer funkelten sie fortan,

Ein Heer von Echos, dessen süße Pflicht

Nur darin bestand zu singen,

Mit Stimmen überwältigender Schönheit,

Der Klugheit und Weisheit ihres Königs.

V.

Doch Bösewichte in trauernden Gewändern

Überfielen das erhabene Anwesen des Monarchen.

(Oh, lasst uns trauern! – denn niemals wird es morgen

Mehr einsam sein über ihn!)

Und rings um sein Heim die einst errötende und erblühte Herrlichkeit,

Ist nur noch eine schwach erinnerte Erzählung

Aus alten Zeiten vergraben.

VI.

Und Reisende, die nun in jenem Tal verweilen,

Durch die rot erleuchteten Fenster, sehen

Gewaltige Gestalten, die sich fantastisch bewegen

Nach einer dissonanten Melodie,

Während – wie ein gespenstischer reißender Strom –

Durch die fahle Tür,

Eine abscheuliche Schar für immer hervorbricht

Und lacht – aber kein Lächeln mehr zeigt.

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Ich erinnere mich wohl daran, dass die Anregungen, die von dieser Ballade ausgingen, uns in einen Geistesgang führten, in dessen Verlauf sich eine von Usher vertretene Auffassung deutlich kundtat – eine Auffassung, die ich weniger wegen ihrer Neuheit erwähne (denn auch andere haben so gedacht), als wegen der Beharrlichkeit, mit der er sie vertrat. Im Grunde nahm diese Auffassung an die Form der Empfindungsfähigkeit aller pflanzlichen Wesen an. Aber in seiner verworrenen Phantasie hatte der Gedanke einen gewagteren Charakter erlangt und trat unter bestimmten Umständen in das Reich der Inorganisation ein. Mir fehlen die Worte, um das volle Ausmaß oder die hingebungsvolle Aufopferung seines Glaubens auszudrücken. Dieser Glaube war, wie ich bereits andeutete, verknüpft mit den grauen Steinen des Hauses seiner Ahnen. Die Voraussetzungen der Empfindungsfähigkeit waren, dachte er, in der Art und Weise erfüllt, wie diese Steine zusammengefügt wurden – in der Ordnung ihres Arrangements, ebenso wie in der Anordnung der zahlreichen Pilze, die sie überzogen, und der verfallenen Bäume, die ringsum standen – vor allem in der lang anhaltenden, ungestörten Beständigkeit dieser Formation und in ihrer Reproduktion in den stillen Wassern des Teiches. Sein Beweis – der Beweis für die Empfindungsfähigkeit – sollte sichtbar sein, sagte er, (und hier begann ich, während er sprach,) in der allmählichen, aber sicheren Ansammlung einer ganz eigenen Atmosphäre um die Gewässer und Mauern. Das Ergebnis, fügte er hinzu, erklang in jenem stillen, doch drängenden und schrecklichen Einfluss, der seit Jahrhunderten die Geschicke seiner Familie geformt hatte und der ihn zu dem gemacht hatte, was ich nun sah – was er war. Solche Ansichten bedürfen keiner weiteren Erklärung, und ich werde keine abgeben.

Unsere Bücher – die Bücher, die über Jahre hinweg einen nicht unwesentlichen Teil der geistigen Existenz des Kranken ausgemacht hatten – entsprachen, wie man sich denken kann, strikt diesem Phantasma. Wir studierten gemeinsam Werke wie das Ververt et Chartreuse von Gresset; den Belphegor von Machiavelli; das Himmel und Hölle von Swedenborg; die Unterirdische Reise des Nicholas Klimm von Holberg; die Chiromantie von Robert Flud, von Jean D'Indagine und von De la Chambre; die Reise in die blaue Ferne von Tieck; und die Stadt der Sonne von Campanella. Ein Lieblingsband war eine kleine Octavo-Ausgabe des Directorium Inquisitorium des Dominikaners Eymeric de Gironne; und es gab Passagen in Pomponius Mela über die alten afrikanischen Satyrn und Ägypter, über die Usher stundenlang in Träumereien versank. Sein größtes Vergnügen fand er jedoch im Studium eines höchst seltenen und kuriosen Buchs in gotischem Quarto – das Handbuch einer vergessenen Kirche, die Vigiliae Mortuorum secundum Chorum Ecclesiae Maguntinae.

Ich konnte nicht umhin, an das wilde Ritual jenes Werkes zu denken und an seinen wahrscheinlichen Einfluss auf den Hypochonder, als er mir eines Abends abrupt mitteilte, dass die Dame Madeline nicht mehr sei, und er seinen Entschluss erklärte, ihre Leiche vor der endgültigen Bestattung für eine vierzehntägige Zeit in einem der zahlreichen Gewölbe innerhalb der Hauptmauern des Gebäudes aufzubewahren. Der weltliche Grund, der für dieses merkwürdige Vorgehen angegeben wurde, war ein solcher, den ich mir nicht anmaßen wollte zu widerlegen. Der Bruder hatte, so erzählte er mir, seine Entscheidung unter Berücksichtigung des ungewöhnlichen Charakters der Krankheit der Verstorbenen, gewisser aufdringlicher und eifriger Nachforschungen ihrer Ärzte sowie der abgelegenen und exponierten Lage des Familienfriedhofs gefasst. Ich will nicht leugnen, dass mir – als ich des finsteren Antlitzes jenes Menschen, dem ich an jenem Tag auf der Treppe begegnet war, ins Gedächtnis zurückrief – kein Widerstand widerfahren wollte gegen das, was ich bestenfalls als eine harmlose und keineswegs unnatürliche Vorsichtsmaßnahme ansah.

Auf Ushers Bitte hin half ich ihm persönlich bei den Vorbereitungen für die vorübergehende Beisetzung. Nachdem der Leichnam in einen Sarg gelegt worden war, trugen wir beide ihn allein zu seiner Ruhestätte. Das Gewölbe, in das wir ihn setzten (das so lange unberührt geblieben war, dass unsere Fackeln, in der erdrückenden Atmosphäre fast erstickt, uns kaum Gelegenheit zur Erkundung boten), war klein, feucht und völlig lichtlos; es lag in großer Tiefe direkt unter dem Teil des Gebäudes, in dem sich meine eigene Schlafkammer befand. Offensichtlich war es in entlegenen feudalen Zeiten für die schlimmsten Zwecke eines Donjon oder Wehrturms genutzt worden und später als Lagerstätte für Schießpulver oder eine andere stark brennbare Substanz; denn ein Teil des Bodens sowie das gesamte Innere eines langen Pfeilerbogens, durch den wir gelangten, waren sorgfältig mit Kupfer überzogen. Auch die massiven Eisentüren waren annähernd gleich geschützt. Ihr immenses Gewicht erzeugte beim Schwingen an den Scharnieren ein ungewöhnlich scharfes, kreischendes Geräusch.

Nachdem wir unsere betrübte Last auf Gestellen in jenem Bereich des Grauens abgestellt hatten, legten wir den noch nicht verschraubten Sargdeckel teilweise wieder auf und betrachteten das Antlitz der Verstorbenen. Eine auffallende Ähnlichkeit zwischen Bruder und Schwester zog sogleich meine Aufmerksamkeit auf sich; und Usher, als er vielleicht meine Gedanken erahnte, murmelte einige wenige Worte, aus denen ich erfuhr, dass die Verstorbene und er Zwillinge gewesen seien und dass stets sympathische Verbindungen zwischen ihnen bestanden hätten, deren Natur kaum zu fassen war. Unsere Blicke verweilten jedoch nicht lange auf der Toten, denn wir konnten sie nicht unbeeindruckt betrachten. Die Krankheit, die die Dame im reifen Alter in den Sarg verbannt hatte, hatte – wie sonst üblich bei allen kataleptischen Zuständen – einen schwachen Erröter auf Wangen und Gesicht hinterlassen, und jenes verdächtig verweilende Lächeln auf den Lippen, das im Tode so schrecklich wirkt. Wir setzten den Deckel wieder auf, schraubten ihn zu und verschlossen die Eisentür, worauf wir mühsam in die kaum weniger düsteren Gemächer im oberen Bereich des Hauses gelangten.

Und nachdem nun einige Tage bitteren Kummers vergangen waren, trat in den Zügen der seelischen Störung meines Freundes ein deutlich erkennbarer Wandel ein. Sein gewohnter Gemütszustand war verschwunden. Seine bisherigen Beschäftigungen wurden vernachlässigt oder gerieten in Vergessenheit. Von Raum zu Raum streifte er mit hastigen, ungleichmäßigen und ziellosen Schritten umher. Die Blässe seines Antlitzes hatte, wenn überhaupt möglich, einen noch gespenstischeren Farbton angenommen – doch der einstige Glanz in seinen Augen war vollständig erloschen. Die gelegentliche Heiserkeit in seiner Stimme war verschwunden; stattdessen zeichnete sich sein Sprechen durch ein zitterndes Beben aus, als ob extreme Angst darin mitschwingen würde. Es gab Momente, in denen ich mir sicher war, dass sein unablässig agierter Geist mit einem bedrückenden Geheimnis rang, das er verzweifelt zu offenbaren versuchte, sich jedoch der nötigen Courage entzog. Zuweilen blieb mir nichts anderes übrig, als all dies den unerklärlichen Launen des Wahnsinns zuzuschreiben, denn ich sah ihn stundenlang in starrem Blick ins Leere verharren, in einer Haltung tiefster Aufmerksamkeit, als lausche er einem imaginären Klang. Es war kein Wunder, dass sein Zustand mich in Schrecken versetzte – dass er auch mich ansteckte. Allmählich spürte ich, wie sich auf mich, mit langsam aber unaufhaltsam zunehmender Intensität, die wilde Wirkung seiner eigenen fantastischen und doch beeindruckenden Aberglauben legte.

Besonders, als ich in jener Nacht spät ins Bett ging, am siebten oder achten Tag nach der Unterbringung der Dame Madeline im Donjon, erlebte ich die volle Wucht dieser Gefühle. Schlaf fand sich nicht in meiner Ruhestätte – während die Stunden dahin schlichen. Ich rang damit, die Nervosität, die mich beherrschte, zu Zerstreuen. Ich bemühte mich zu glauben, dass vieles – wenn nicht gar alles – von dem, was ich empfand, der verwirrenden Wirkung der düsteren Möbel des Zimmers zuzuschreiben sei – der dunklen, zerlumpten Vorhänge, die, vom Atem eines heraufziehenden Sturms in Bewegung gesetzt, unruhig hin und her schwankten und unbehaglich über die Bettdekoration raschelten. Doch all meine Anstrengungen blieben vergeblich. Ein unaufhaltsames Zittern erfasste allmählich meinen Körper; und schließlich setzte sich ein unbenannter, grundloser Alarm wie ein Dämon in mein Herz. Mit einem Ruck und unter großem Kampf gelang es mir, diesen Zustand abzuschütteln; ich stützte mich auf die Kissen, und drang ernsthaft in die tiefe Dunkelheit des Zimmers hinein, um – ich weiß nicht warum, abgesehen von einem instinktiven Drang – auf gewisse leise und unbestimmte Geräusche zu lauschen, die in den Pausen des Sturms in unregelmäßigen Abständen zu vernehmen waren. Von einem intensiven Gefühl des entsetzlichen Horrors überwältigt, warf ich hastig meine Kleidung über, (denn ich empfand, dass ich in dieser Nacht keinen Schlaf finden würde) und bemühte mich, mich aus dem erbärmlichen Zustand, in den ich gefallen war, durch heftiges Umherlaufen in der Wohnung wieder hervorzurufen.

Kaum hatte ich ein paar Runden diesen Weg beschritten, als leichte Schritte auf einer angrenzenden Treppe meine Aufmerksamkeit fesselten. Bald erkannte ich, dass diese Schritte Ushers waren. Einen Augenblick später klopfte er mit sanftem Schlag an meine Tür und trat ein, eine Lampe tragend. Sein Antlitz war wie gewöhnlich krankhaft blass – doch darüber hinaus lag in seinen Augen eine Art wahnsinniger Heiterkeit, eine offenkundig zurückhaltende Hysterie in seinem gesamten Auftreten. Sein Wesen erschreckte mich – doch alles war der Einsamkeit, der ich so lange ausgesetzt gewesen war, vorzuziehen – und ich begrüßte seine Ankunft gar als Erlösung.

„Hast du es nicht gesehen?“ sagte er plötzlich, nachdem er einige Augenblicke schweigend um sich gewandert war – „also hast du es nicht gesehen? – Aber warte! Du wirst es sehen.“ Mit diesen Worten, und indem er sorgsam seine Lampe abdunkelte, eilte er zu einem der Fensterläden, und öffnete diesen weit hinab zum tobenden Sturm.

Der ungestüme Zorn der hereingebrochenen Böen hätte uns beinahe von den Füßen gerissen. Es war in der Tat eine stürmische, doch streng schöne Nacht, eine Nacht, die in ihrem Schrecken und ihrer Schönheit eigenartig war. Ein Wirbelwind hatte sichtlich in unserer Nähe seine Kraft gesammelt; denn es gab häufige und heftige Richtungswechsel des Windes; und die überwältigende Dichte der Wolken (die so tief hingen, dass sie die Türme des Hauses zu berühren schienen) verhinderte nicht, dass wir die lebhafte Geschwindigkeit wahrnahmen, mit der sie aus allen Richtungen aufeinanderprallten, ohne in der Ferne zu verschwinden. Ich sage – selbst ihre übermäßige Dichte vermochte es uns nicht zu hindern, dies zu bemerken – doch wir konnten weder den Mond noch die Sterne erblicken, noch gab es Blitze. Aber die Unterseiten der gewaltigen Massen unruhiger Dunstwolken, wie auch alle nahen irdischen Gegenstände, leuchteten im unnatürlichen Licht eines schwach schimmernden, deutlich sichtbaren gasförmigen Ausstoßes, der das Anwesen umhüllte und verhüllte.

„Du darfst nicht – du sollst dies nicht erblicken!“ sagte ich, zitternd zu Usher, während ich ihn mit sanfter Gewalt von dem Fenster zu einem Sitzplatz leitete. „Diese Erscheinungen, die dich verwirren, sind lediglich elektrische Phänomene, die nicht unüblich sind – oder vielleicht rühren sie von dem üblen Miasma des Teiches. Lass uns diesen Fensterladen schließen; – die Luft ist eisig und gefährlich für deinen Körper. Hier ist einer deiner liebsten Romane. Ich werde vorlesen, und du wirst zuhören – und so werden wir diese schreckliche Nacht gemeinsam überstehen.“

Der antike Band, den ich ergriffen hatte, war der Mad Trist von Sir Launcelot Canning; doch ich hatte ihn eher aus traurigem Spott Ushers Lieblingsbuch genannt als ernst gemeint, denn in Wahrheit gab es in seiner ungehobelten und fantasielosen Weitschweifigkeit wenig, was dem erhabenen und geistigen Ideal meines Freundes hätte zusagen können. Es war jedoch das einzige Buch, das mir unmittelbar zur Hand lag; und ich hegte eine vage Hoffnung, dass der Aufruhr, der nun den Hypochonder ergriff, – wie die Geschichte seelischer Verstörungen reich an derartigen Anomalien ist – sogar in der extremen Torheit jenes Vorlesestoffs etwas Linderung verschaffen könnte. Hätte ich tatsächlich an der wilden, überstrapazierten Lebendigkeit seines Geistes, mit der er, scheinbar in einem transzendentalen Moment, den Worten der Erzählung lauschte, gemessen – so hätte ich mich selbst über den Erfolg meines Vorhabens gefreut.

Ich erreichte den wohlbekannten Abschnitt der Erzählung, in dem Ethelred, der Held des Trist, nachdem er vergeblich friedliche Aufnahme im Heim des Eremiten zu erlangen suchte, sich gewaltsam Zutritt verschafft. An dieser Stelle, wie man sich erinnert, lauten die Worte der Erzählung:

„Und Ethelred, von Natur aus von tapferem Herzen und nun immens gestärkt durch die Macht des Weins, den er getrunken hatte, zögerte nicht länger, mit dem Eremiten Verhandlungen zu führen – der, in der Tat, von eigensinniger Boshaftigkeit geprägt war – sondern, als er den Regen auf seinen Schultern spürte und den heraufziehenden Sturm fürchtete, hob er unmissverständlich seine Streitkolben empor, und mit heftigen Schlägen schuf er rasch Raum in den Dielen des Türlochs für seine behändigte, behäugelte Hand; und indem er diese energisch zog, zerbrach, riss und zerriss er alles, so dass das Geräusch des trockenen, hohlen Holzes den ganzen Wald erschreckte und widerhallte.“

Als ich diesen Satz vollendete, stockte ich und hielt einen Moment inne; denn es schien mir – wenngleich ich mir sofort sicher war, dass meine aufgeheizte Fantasie mich getäuscht hatte – als käme aus einem sehr entlegenen Teil des Anwesens ein undeutliches Geräusch an meine Ohren, das in seiner exakten Ähnlichkeit dem Knacken und Zerreißen entsprach, wie es Sir Launcelot so eindrücklich beschrieben hatte. Zweifellos war es allein diese Koinzidenz, die meine Aufmerksamkeit erregte; denn zwischen dem Klappern der Fensterläden und den sonst üblichen, zusammen vermischten Geräuschen des sich verstärkenden Sturms hatte das Geräusch für sich genommen nichts, was mich hätte beunruhigen oder interessieren können. So fuhr ich mit der Erzählung fort:

„Doch der edle Held Ethelred, der nun das Innere der Tür betreten hatte, war außer sich vor Zorn und Erstaunen, keine Spur des boshaften Eremiten zu finden; an seiner Stelle aber erschien ein Drache von schuppigem, gewaltigem Antlitz und feuriger Zunge, der vor einem Palast aus Gold mit einem silbernen Boden Wache hielt; und an der Wand hing ein Schild aus glänzendem Messing, auf welchem folgender Spruch eingraviert war:

Wer hier eintritt, sei ein Eroberer gewesen;

Wer den Drachen erschlägt, das Schild wird ihm gehören.

Und Ethelred hob seine Streitkolben empor und schlug auf den Kopf des Drachen, der vor ihm fiel und seinen dampfigen Hauch mit einem derart grausamen, harten und durchdringenden Schrei entließ, dass Ethelred am liebsten seine Ohren mit den Händen verschlossen hätte, um diesem erschreckenden Lärm zu entkommen, wie man ihn nie zuvor gehört hatte.“

Gerade als diese Silben von meinen Lippen verklangen, vernahm ich – als wäre in diesem Moment tatsächlich ein Messingschild schwer auf einen silbernen Boden gefallen – ein deutliches, hohles, metallisches und klirrendes, wenn auch gedämpftes Echo. Völlig entnervt sprang ich auf; doch Ushers bedächtiges Schaukeln blieb ungestört. Ich eilte zu dem Sessel, in dem er saß. Seine Augen waren fest auf etwas vor ihm gerichtet, und sein ganzes Angesicht lag in steinerner Strenge. Als ich meine Hand auf seine Schulter legte, überkam ihn ein heftiges Beben; ein krankhafter Lächeln zitterte um seine Lippen; und ich erkannte, dass er in einem leisen, hastigen und wirren Murmeln zu sprechen begann, als wäre er meiner Gegenwart unbewusst. Indem ich mich eng über ihn beugte, vernahm ich endlich den furchtbaren Gehalt seiner Worte:

„Nicht gehört? – Ja, ich höre es, und ich habe es gehört. Lange – lange – lange – viele Minuten, viele Stunden, viele Tage habe ich es gehört – und ich wagte es nicht – oh, erbarmt mich, elender Wicht, der ich bin! – Ich wagte es nicht – ich wagte es nicht zu sprechen! Wir haben sie lebendig in den Sarg gelegt! Habe ich nicht gesagt, dass meine Sinne scharf sind? Ich sage dir nun, dass ich ihre ersten schwachen Bewegungen im hohlen Sarg vernommen habe. Ich hörte sie – vor vielen, vielen Tagen – und doch wagte ich es nicht, – ich wagte es nicht zu sprechen! Und nun – in dieser Nacht – Ethelred – ha! ha! – das Zuschlagen der Tür des Eremiten, und der Todesschrei des Drachen, und das Klirren des Schildes! – besser gesagt, das Zerreißen ihres Sarges, und das Quietschen der eisernen Scharniere ihres Gefängnisses, und ihren Gemütskampf in dem kupfernen Bogen des Gewölbes! Oh, wohin soll ich fliehen? Wird sie nicht bald hier sein? Eilt sie nicht herbei, um mir mein übereiltes Tun vorzuwerfen? Habe ich nicht ihr Getrappe auf der Treppe gehört? Unterscheide ich nicht jenes schwere und schreckliche Pochen ihres Herzens? Verrückter!“ – Hier sprang er in wilder Entrüstung auf, und schrie seine Silben, als gäbe er in diesem Moment gleich seine Seele preis – „Verrückter! Ich sage dir, sie steht jetzt vor der Tür!“

Als ob in der übermenschlichen Kraft seiner Äußerung die Macht eines Zaubers enthalten gewesen wäre, warfen die gewaltigen, antiken Paneele, auf die er zeigte, augenblicklich ihre dröhnenden, ebenförmigen, ebonyfarbenen Kiefer zurück. Es war das Werk des heranrauschenden Windes – doch ohne diese Türen stand tatsächlich die hoch aufragende und in Nebel gehüllte Gestalt der Dame Madeline Usher da. Blut befleckte ihre weißen Gewänder, und an jedem Teil ihres ausgemergelten Körpers waren Spuren eines erbitterten Kampfes zu erkennen. Einen Augenblick lang zitterte sie noch, schwankte hin und her auf der Schwelle – dann stürzte sie mit einem dumpfen, klagenden Laut in den Armen ihres Bruders nieder und barg in ihren heftigen, nun finalen Todesqualen ihn als Leichnam und Opfer der angedrohten Schrecken zu Boden.

Aus jenem Gemach und aus jenem Hause floh ich entsetzt. Der Sturm tobte weiterhin in all seiner Wut, als ich mich daraufhin über die alte Feldbrücke begab. Plötzlich schoss ein wildes Licht den Pfad entlang, und ich wandte mich um, um zu erblicken, woher dieser so ungewöhnliche Schimmer käme; denn das weite Haus und seine Schatten lagen nur hinter mir. Das Strahlen stammte von dem vollen, untergehenden, blutrötlichen Mond, der nun lebhaft durch jene einst kaum erkennbaren Rissöffnung schien, über die ich zuvor berichtete, ein Riss, der sich vom Dach des Gebäudes in Zickzackrichtung bis zur Basis zog. Während ich dort stand und blickte, weite sich dieser Riss rapide – es kam ein heftiger Hauch des Wirbelwinds – die mondscheibenartige Kugel erschien augenblicklich in meinem Blickfeld – mein Verstand schwankte, als ich die mächtigen Mauern im Auseinanderbrechen sah – ein langanhaltendes, tumultartiges Rufen, wie die Stimme von tausend Wassern, ertönte – und der tiefe, düstere Teich zu meinen Füßen senkte sich still und schweigend über die Überreste des „Hauses Usher.“

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