Einführung
Nebel zieht tief über die sanften, grünen Hügel des alten Wales, wo Legende und der kalte Atem der Irischen See eins werden. In den lichtdurchfluteten Wäldern und entlang der schroffen Küsten schweigen die alten Geschichten nie ganz. Sie hallen im Wind wider, im leisen Flüstern der Flüsse und im klagenden Krächzen der Raben, die über zerfallene Festungen kreisen. Hier, zwischen dem Schleier von Mythos und Erinnerung, entfaltet sich die Geschichte von Branwen, der Tochter des Llyr. Ihre Erzählung ist ein Gewebe aus Hoffnung und Untergang, durchzogen von der zerbrechlichen Verheißung der Liebe und den schweren Fäden des Verrats. In einer Zeit, in der Verwandtschaft Königreiche vereinen oder ins Verderben stürzen konnte, wurde Branwens Schönheit und Sanftmut zum Symbol des Friedens zwischen verfeindeten Ländern. Doch das Schicksal, unerbittlich wie die Flut, zog sie in einen Sturm, aus dem niemand unverändert hervorgehen sollte. Vor der wildromantischen Kulisse walisischer Landschaften und düsterer irischer Höfe pulsiert dieser Mythos voller Sehnsucht, Loyalität und dem hohen Preis des Stolzes. Durch bewaldete Täler, über sturmgepeitschte Meere und in die von Fackeln erleuchteten Hallen der Könige führt Branwens Weg – eine Reise voller Leidensfähigkeit und Kummer, eine Geschichte so ergreifend und menschlich wie vor Jahrhunderten, voll widerhallender Fragen nach Vergebung und der Last des Verlustes.
Eine königliche Verbindung und brüchiger Frieden
Im Herzen von Gwynedd, dort wo der River Conwy seinen silbrigen Pfad durch wildes Land zieht, herrschte der mächtige Bendigeidfran, genannt Bran der Gesegnete, über ein Reich, dessen Stärke nur von seinen Traditionen übertroffen wurde. Bendigeidfran war ein Riese unter den Menschen – sowohl an Statur als auch an edlem Herzen. Seine Schwester Branwen, Tochter des Llyr, wurde wegen ihrer Anmut und Weisheit geliebt, ihr Lachen klang wie Musik des Flusses und ihre Güte war an jedem Herdfeuer des Landes bekannt. Ihr Bruder Manawydan, standhaft und klug, vervollständigte dieses Trio von uralter Abstammung, gefestigt wie die Steine unter ihren Füßen.

Die Kunde von Branwens Schönheit und Sanftmut gelangte über die Irische See und weckte die Ambitionen von Matholwch, König von Irland. Im Bund der Ehe sah er die Möglichkeit, Frieden zwischen zwei mächtigen Nationen zu stiften. Mit einer in Gold und Smaragden glänzenden Gefolgschaft und Geschenken für eine Königin reiste Matholwch nach Harlech. Der Hof von Bendigeidfran empfing ihn mit Festen und Musik, Hoffnung erfüllte die Hallen. Branwen wurde gerufen, und in ihrer Gegenwart verwandelte sich Matholwchs Friedenswille in Sehnsucht. Der Bund wurde rasch geschlossen – doch nicht jedes Herz am walisischen Hof war diesem Glück gewogen.
Zwischen den Feiernden bewegte sich Efnisien, Halbbruder von Branwen und Bendigeidfran. Unruhig und ungefragt, nagten Stolz und Argwohn an seiner Seele und verdrehten Verwandtschaft zu Groll. In geheimer Rachlust verstümmelte Efnisien die edlen Pferde Matholwchs, bevor der König aufbrach – eine stumme Botschaft, dass die walisischen Herzen sich nicht gänzlich dem Frieden verschrieben hatten. Als Matholwch von der Schändung erfuhr, überkamen ihn Zorn und Scham. Bendigeidfran bemühte sich um Versöhnung und schenkte Matholwch einen unbezahlbaren Schatz: den magischen Kessel der Wiedergeburt, der Tote zum Leben erwecken konnte. Der irische König nahm die Entschuldigung an und segelte mit Branwen an seiner Seite zurück in die Heimat – getragen von Hoffnung, doch mit einer unausgesprochenen Wunde.
In den folgenden Jahren versuchte Branwen, die Kluft zwischen ihrer neuen Heimat und dem Land ihrer Geburt zu überbrücken. Sie erwarb sich Ehre am irischen Hof und schenkte Matholwch einen Sohn, Gwern, dessen Lachen eine bessere Zukunft zu versprechen schien. Doch Eifersucht und Misstrauen wuchsen unter den irischen Fürsten, flüsternd, dass eine fremde Königin niemals wirklich Teil der Gemeinschaft werden könne. Aus unterschwelligen Kränkungen wurde offener Hohn. Bald beugte Matholwch sich dem Druck des Hofes: Branwen wurde verstoßen, ihr Rang auf den einer Dienerin herabgesetzt; Tage voller Demütigung und Einsamkeit folgten.
Allein und voller Kummer fand Branwen Trost nur in der Gesellschaft der Vögel. In ihrer fensterlosen Kammer brachte sie einer Drossel bei, ihr Leid zu verstehen. An deren Bein band sie eine Botschaft und sandte sie über das windgepeitschte Meer nach Wales. Als Bran und Manawydan von ihrem Leid erfuhren, flammte in ihren Herzen rechtschaffener Zorn auf. Bendigeidfran rief die Seinen – ein großes Heer versammelte sich an der Küste. Sie bauten eine Flotte, die Banner von Wales flatterten im Wind, und segelten entschlossen nach Irland – nicht aus Eroberungsgier, sondern um Branwen, die Tochter des Llyr, ihre Ehre und ihre Würde zurückzugeben.
Die Saat des Verrats und der Krieg des Kummers
Die walisische Flotte landete an der irischen Küste unter einem vom Sturm drohenden Himmel, die Brandung schäumte weiß an Felsen wie wilde Pferde. Bendigeidfran selbst watete an Land – so riesig, dass er Flüsse durchschreiten konnte, in denen andere ertranken; seine Erscheinung wurde zur lebendigen Legende. Die Iren, voller Ehrfurcht und Angst, zogen sich hinter schützende Mauern zurück. Matholwch, innerlich zerrissen zwischen Bedauern und Pflicht, schwankte zwischen seiner Liebe zu Branwen und den Forderungen seiner Fürsten.

Um Blutvergießen zu verhindern, schlug Matholwch einen zerbrechlichen Frieden vor: Er wollte auf der Ebene von Armagh ein großes Haus errichten, geräumig genug, um Bendigeidfran und alle seine Männer unter einem Dach zu beherbergen. Geschenke sollten getauscht, alte Kränkungen vergeben werden. Doch unter diesen diplomatischen Gesten gärten alte Feindschaften weiter. Efnisien, stets Unheilstifter und verletzte Seele, bewegte sich wie ein Schatten unter den Festgästen. Dem Unbehagen lauschend, entdeckte er eine Verschwörung: Die Iren hatten bewaffnete Männer in Mehlsäcken in der großen Halle versteckt, um die Waliser beim Festmahl zu überfallen. Mit grimmiger Entschlossenheit tötete Efnisien die Verborgenen und wandte so das drohende Unheil ab, noch ehe es entfesselt werden konnte.
Im folgenden Chaos zerbrach jede Hoffnung auf Frieden. Krieg entbrannte – wild und erbarmungslos. Waliser und Iren stießen auf Feldern und an Flüssen zusammen, und selbst das Land schien sich vor dem Blutvergießen zu sträuben. Inmitten des Gemetzels setzte Matholwch auf den Kessel der Wiedergeburt: Seine Toten erhoben sich erneut, stumm und unermüdlich. Verzweiflung drohte die Waliser zu überwältigen. Efnisien, von Schuld gequält und im Verlangen nach Erlösung, warf sich selbst in den Kessel und zerstörte ihn von innen heraus – er opferte sein Leben, um die grausame Magie zu brechen, die das Töten endlos erscheinen ließ.
Der Preis des Sieges war furchtbar. Von allen, die aus Wales aufgebrochen waren, überlebten nur sieben, darunter der sterbende Bendigeidfran, tödlich verwundet von einem vergifteten Speer. Die Iren lagen besiegt, ihr Land verheert, ihr Volk gebrochen. Auch Gwern, Branwens Sohn, war dem Wahnsinn des Krieges zum Opfer gefallen – von Efnisien selbst in den Flammen getötet, was das Schicksal beider Völker besiegelte.
Branwen stand im Angesicht des Untergangs, ihr letzter Hoffnungsschimmer verloschen. Trauer lähmte ihren Blick, als sie an der Seite ihres sterbenden Bruders kniete. Bendigeidfran, zu groß für ein Grab in dieser Welt, befahl, man solle seinen Kopf abtrennen und nach London bringen, wo er über das Land wachen würde – still und treu. Während die Überlebenden tief gebeugt nach Wales heimkehrten, zerbrach Branwens Geist unter der Last des Verlustes. Am Ufer des Flusses Alaw sank sie nieder; ihre Tränen vereinten sich mit den Wassern, bis ihr Herz brach und ihre Geschichte zur Legende wurde.
Fazit
So endet die Sage von Branwen, Tochter des Llyr – keine Geschichte bloßer Siege oder Niederlagen, sondern davon, wie Stolz und Schmerz selbst die stärksten Bande zerschneiden können. Ihr Leben, geprägt von Hoffnung und Verlust, wurde zur Mahnung in den Herzen von Walisern wie Iren. Die Erinnerung an Branwens Leiden milderte selbst den stolzesten Krieger und erinnert daran, dass Frieden zerbrechlich und rasch zerstört ist, wenn Misstrauen Gnade verdrängt. Die Flüsse von Wales tragen ihren Namen, und die Steine bewahren den Schmerz, den sie trug. In Branwens Weg – in ihrem Ausharren im Exil, ihrem Mut angesichts der Grausamkeit und ihrer letzten, alles verzehrenden Trauer – spiegeln sich alle Herzen wider, die sich nach Versöhnung sehnen und um Verlorenes trauern. Der Mythos lebt fort, nicht nur als Relikt der Vergangenheit, sondern als lebendiger Aufruf zu Mitgefühl und Nachdenklichkeit. Ihre Geschichte lädt uns durch die Jahrhunderte ein: innezuhalten an nebligen Morgen, auf die Flügel der Vögel zu lauschen und zu erinnern, dass selbst im Schatten der Tragödie Hoffnung und Mitgefühl neu erwachen können.