Einleitung
Unter den ockerfarbenen Himmeln des alten Australiens legte sich eine Stille über die rote Erde, als Vögel aus allen Ecken der Wüste am Rand einer schimmernden Wasserstelle zusammenkamen. Emus schritten vorsichtig durch Spinifexgras, Kakadus flatterten auf knorrige Geistergummibäume, und lautlose Eulen saßen in schattigen Höhlen. Selbst die winzigen, großäugigen Wellensittiche und Schwalben versammelten sich in erwartungsvoller Aufregung, denn man hatte erfahren, dass der Große Geist bald entscheiden würde, wer von ihnen das Geschenk der Farbe erhalten würde. Staubkörnchen tanzten im goldenen Morgenlicht, und eine sanfte Brise trug den Duft von Eukalyptus und warmem Sand heran. Jeder Vogel hoffte auf leuchtende Töne – rubinrot, saphirblau, smaragdgrün – um sein Gefieder für immer zu zieren. Doch unter dem hoffnungsvollen Gezwitscher lag eine unterschwellige Spannung: alte und neue Rivalitäten, Fragen des Stolzes und die Furcht, dass manche Geschöpfe sich die Gunst des Geistes mit Gewalt erzwingen könnten. Hoch oben saß der Kookaburra auf einem Ast, seine wissenden Augen spiegelten Schalk und Weisheit. Ein einziger, hallender Lachruf durchdrang die Versammlung und versprach Führung denen, die bereit waren zuzuhören. So begann mit den ersten Strahlen der Morgendämmerung der Wettstreit – und mit ihm die Erzählung, die das Buschland für alle Zeiten färben sollte.
Der Große Rat der Federn
Der Rat versammelte sich am Ufer, und jeder Vogel trat mit einem besonderen Anliegen vor. Zuerst sprach der Emu, seine tiefe Stimme rollte über die Kiesel: Er wünschte sich Stärke, um die Geschichten seines Volkes über die endlosen Ebenen zu tragen. Der weiße Kakadu stellte stolz seine Haube auf und bat um Glanz – so strahlend wie die Sonne, damit andere seinem Flug folgen mögen. Eine unruhige Elster forderte eine Melodie, die durch die Nacht hallt und die Dunkelheit mit Gesang vertreibt. Selbst die scheue Nachtschwalbe schlich aus ihrem Versteck, um sich ein zartes Schimmern zu erbitten, damit sie unbemerkt durch die Welt gleiten könne. Rundherum hielten Kängurus inne und Wallabys beugten sich neugierig vor, fasziniert von dem Schauspiel. Oben zwitscherten zwei Wellensittiche eifrig und träumten von grün-gelben Federn, die das Spinifexgras spiegeln würden. Mit jeder Bitte erklang die Stimme des Geistes im Wind: „Den würdigen Schwingen schenke ich meine Gabe.“ Doch je länger die Liste wurde, desto lauter wurden die flüsternden Stimmen der Eifersucht. Der Ibis, hochgewachsen und würdevoll, fühlte sich gekränkt, als sein Flehen unbeantwortet blieb; die winzigen Finken flatterten ängstlich vor Sorge, sie hätten zu leise gesprochen. Ein Schweigen legte sich über die Versammlung, nur unterbrochen vom beharrlichen Lachen des Kookaburras – eine leise Mahnung, dass Geduld und Respekt stolze Herzen zügeln könnten. Während einige in Demut Frieden fanden, regte sich in anderen ehrgeiziger Groll. Federn sträubten sich, Blicke funkelten, und bald schwankte die Versammlung am Rande des Zwists.

Der Zusammenprall der Flügel
Als der Ibis lautstark protestierte, überzeugt davon, dass sein langer, schlanker Schnabel und seine majestätische Haltung ein strahlendes Weiß verdienten, kreischte der Papagei empört auf und pochte darauf, dass seine Fähigkeit zur Nachahmung und sein bisher farbloses Gefieder das Geschenk nötiger hätten. Heftige Worte wichen aufgewölbten Flügeln und lärmenden Krächzern, während der Himmel über dem Rat zu einem Strudel aus Federn wurde. Kakadus stürzten sich auf Elstern, glänzend schwarze Raben tauchten auf regenbogenbunte Loris, und selbst die kleinsten Finken mischten sich ins Getümmel, ihre Pieptöne gingen im Chaos unter. Staub wirbelte, blendete manche, während Federflaum wie roter Schnee durch die Hitze rieselte. Inmitten des Tumults richtete der Kookaburra seinen Kopf empor und lachte, ein Klang, der das Durcheinander mit verblüffender Klarheit durchschnitt. Langsam wandten sich alle Köpfe. In diesem plötzlichen Schweigen spürte man die Gegenwart des Geistes: ein sanftes Rascheln, als hätten die Blätter selbst Luft geholt. Dann brach ein Lichtstrahl vom Himmel, erhellte die Wasserstelle und warf die Schatten jedes Vogels auf die Oberfläche. Die Kämpfenden verstummten augenblicklich. Flügel sanken herab. Stolz erstarrte. Unter diesem himmlischen Schein sah jede Kreatur ihr Spiegelbild – stolz und fehlerhaft, furchtlos und verwundbar zugleich. Und zum ersten Mal hörte das Gefieder einander zu, lauschte den Hoffnungen des Gegenübers statt den eigenen Forderungen – denn nur Lachen und Besinnung konnten den Sturm bezwingen.

Die Dämmerung der Farben
Als sich Frieden über die Ebenen legte, sprach der Geist erneut: „Ihr habt Feuer und Zorn gezeigt, doch auch die Kraft der Einheit. Teilt nun und empfangt als Gleichgestellte.“ Augenblicklich erstrahlte die Wasserstelle in prismatischem Licht. Emus spürten, wie ihre Federn sich mit warmem Kastanienbraun füllten – erdig und tief. Kakadus leuchteten in Elfenbeinweiß und zartem Rosé, das im Kontrast zu den Geistergummibäumen schimmerte. Elstern glänzten in Obsidian und Schneeweiß, während Loris in Rubinrot, Smaragdgrün und Saphirblau funkelten und die Wildblumen reflektierten. Sogar die bescheidenen Finken zierten sich mit buttrigem Gelb und sanftem Zimtbraun. In diesem heiligen Moment erkannte jeder Vogel, dass wahre Farbe nicht aus Macht oder Forderung entsteht, sondern aus Verständnis und gemeinsamem Geist. Der Wüstenwind trug ihre freudigen Rufe weit über die rote Erde und besiegelte das Geschenk für kommende Generationen. Als die neue Morgendämmerung anbrach, wurde Australiens Himmel zur Leinwand – und jeder Vogel zum lebendigen Pinselstrich. Und mögen die Winde sich drehen und die Jahreszeiten wechseln, die Lehre bleibt: In Harmonie erblühen die leuchtendsten Farben.

Fazit
Lange nach dem Wettstreit und seinen Prüfungen verbreitete sich die Geschichte davon, wie die Vögel ihr prächtiges Gefieder erhielten, von einem Ende des Kontinents zum anderen. Älteste erzählten sie am Lagerfeuer unter sternenklarem Himmel; Eltern gaben sie träumenden Kindern am Knistern geistergummibholzes weiter; Maler hielten die regenbogenfarbenen Flügel gegen ockerfarbene Klippen fest. Jede Feder wurde zum Mahnmal für Stolz, der durch Respekt gezügelt, für Ehrgeiz, der durchs Zuhören gemildert, und für Rivalität, die in gemeinsame Freude verwandelt wird. Bis heute trägt das Echo des Kookaburras, wenn es durch die Gummibäume hallt, die uralte Weisheit: Schönheit erstrahlt am hellsten, wenn wir die Geschichten des Anderen ehren und im Einklang wandeln. So bleibt die Welt lebendig, Vogel für Vogel, Farbe für Farbe, gewoben durch eine zeitlose Wahrheit, geboren auf dem roten Erdreich Australiens.